Die Geheimnis Krämerei

Tante Emma war schon früh am Morgen hellwach. Es gab viel zu tun in ihrem kleinen Kramerladen. Direkt neben der Dorfkirche kamen gleich nach der Frühmesse die ersten Kundschaften,damit sie die allerbesten Butterbrezn geschmiert bekamen. Ihr Lehrmadl,die Bäckerliesl,konnte das besonders gut. Wurde ein Dorflackl mal zu aufdringlich, konnte sie demjenigen aber auch mal eine saftige Watschn aufstreichen. Der Seppl vom Huberbauernhof bekam das schon öfters zu spüren. Heute hatte der ungehobelte Bauernbursch eher Glust auf eine schmackhafte Leberkassemml. Zu der Metzgerfanny, die für alle fleischeslüstigen Herrschaften zuständig war, kam er mit einem ganz und gar unmoralischem Angebot.

 „Auf die Leberkassemml schmierst mir jetzt noch ein großes Häuferl Scharfmachersenf, dann darfst auch a mal reinbeißn“. Da kam er bei der resoluten Fanny aber g`rad an die richtige, oder eher wohl an die falsche Person. „Wennst ned glei deine Bratzn weg duasd, do wos ned hi g`hörn, dann wead dia nie wieda eine Leberkassemml schmecka, den Appetit wead i dia verderbn“. Sie hatte dem Seppl jetzt eine Moralpredigt gehalten, die war um einiges schärfer als die Sonntagspredigt vom hochwürdigen Herrn Pfarrer. Der saß mit hoch erhobenem geistlichem Haupt auf seinem Predigtstuhl,versuchte mit einer scheinbar nur ihm gegebenen Engelsgeduld die immer wieder gleichen göttlichen Botschaften gebetsmühlenartig unter das irdische Volk zu bringen. Die ewig lange Litanei wirkte bei den meisten Kirchenbesuchern aber eher schlaffördernd.

Sogar die Pfarrersköchin dachte sich des öfteren: „Des Wort Gottes,des g`hört besser g`würzt.“ Die Honoratioren, allen voran der Bürgermeister,stellten vorsorglich die Kirchenuhr eine Stunde vor, damit die bestellten Weisswürst beim Dorfwirt das berühmte zwölfuhrleuten nicht mehr hören mussten. „Vom himmlischen Manna allein wird man auch nicht satt,“ meinte der Bauerngirgl. Des Hopfnmarei pflichtete ihm bei: „A guade Brotzeit und a frische Maß Bier schmeckt besser“. Jetzt wurde der Girgl übermütig. Er dachte sich insgeheim: „So a sauberes Madl waar gwiß a moi a Sünd wert.“ Kaum legte er den Arm um die hübsche Dirn, riss sich des Marei entrüstet von ihm los, krallte ihre Fingernägel tief in die blutunterlaufenen Wangen vom Girgl. „Ja bist narrisch worn,wos bistn du für a wuide Katz?“ tobte jetzt der verschmähte Liebhaber und zog sich dann zurück, wie eine beleidigte Leberwurst. „I werd meine Versuchungen glei morgen beim Pfarrer beichtn“, sagte der verstoßene Lenz reumütig zum Marei. Im Beichtstuhl, gleich neben dem Hochaltar, wartete der hochangesehene Religionspädagoge bereits auf den Girgl. Dem Pfarrer machte es wohl sichtlich Spaß, intimste Geheimnisse von seiner dörflichen Schäfchengemeinde zu erfahren.

Er entwickelte eine wahre Sammelleidenschaft von geheimnisumwitterten doppelmoraligen Beichtgeschichten Wie ein Schafhirte trieb er die reuigen Sünder im Büsserkammerl dann oft in die schiere Verzweiflung. Eine lange Sühne und Bußeliste las er mit sichtlichem Vergnügen seiner vermeintlich so unchristlichen Schäfchengemeinde vor. Kein Vaterunser oder Ave Maria verlangte er seiner leichtgläubigen Beichtkundschaft ab. Es waren Geld und Liebesdienste,die er im Büsserkammerl von dem verruchten Sodom und Gomorrha Volk scheinbar dankend entgegennahm.Sonst würde er ihre Untaten gleich dem Herrgott verraten.Der Bauerngirgl konnte ihm nur a Stückl Gselchts geben.Der Pfarrer war zufrieden. Eine Butterbrezn hat er erst gestern für a paar gebeichtete Sündn von der Bäckerliesl bekommen und auch die Metzgerfanny hat ihm schon oft a Leberkassemml spendiert.

„Er is scho guad beinand, unser Herr Pfarrer“, hat der Bürgermeister mal gsagt, als er auf den geistlichen Bauchumfang von dem Hochwürdigen schaute. Der dachte sich insgeheim, daß die Sündeneintreiberei schon a sehr guades Geschäft für ihn sei, alles bestens geschützt unter dem Deckmantel des Herrn. Und schließlich wäscht er täglich im Weihwasserbecken seine Hände in Unschuld. Dieses Ritual hat er sich von den scheinheiligen Pharisäern abgeschaut. Auch die fleißige Tante Emma war dem Herrn Pfarrer stets wohlgesinnt. Der hatte ihr wohl einen gesicherten Platz im jenseitigen Austragsstüberl versprochen. Sie könnte dort dann auch mit dem Brandner Kaspar schnapsln. Diese Aussichten auf ein ewiges Leben in bester himmlischer Gesellschaft ließen sie die irdischen Sorgen vergessen. Sie schwelgte dann oft in Erinnerungen. Vor nunmehr beinahe 30 Jahren, am Tag der unbefleckten Empfängnis öffnete der Hochwürdige Herr direkt hinter dem Beichtstuhl die Tür zu einem gar nicht so geistlichen Raum, der eher die Ausstattung einer Besenkammer hatte. Es wird heute auch das Boris Becker Kammerl genannt. Dort legte er in gewissen Stunden nicht das kirchliche Gelübde ab, wohl aber die priesterlichen Gewänder. „Führe mich nicht in Versuchung“, hatte er beim Vaterunser noch gebetet. Des Emmerl, wie er die Kramersfrau gern nannte, konnte dann nur noch leichtgläubig sagen: „Dein Wille geschehe.“ 

Und so kam es,wie es kommen musste. Drei neue Erdenbürger, die Bäckerliesl, die Metzgerfanny und des Hopfenmarei erblickten nach und nach das Licht der Welt. Sofort aber wurde der priesterliche Mantel des Schweigens über die Nachkommenschaft des Pfarrers gelegt. Schließlich durfte kein Wort über die eigentlich nicht existierende Familie nach außen dringen. Den Dorfbewohnern kam das mehr und mehr seltsam vor. Sie bezeichneten den Kramerladen von Tante Emma deshalb nur noch als Geheimniskrämerei. PS: Sollte sich die frei erfundene Geschichte anno 1912 wirklich zugetragen haben, wäre das Verwirrspiel von Wahrheit und Lüge gewiss ein Fall für das königlich bayrische Amtsgericht. 

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