Ernte
Der Hinterdupfinger Weiher sah erbärmlich aus. Wamperl, der ehemals schwergewichtige Karpfen vom Huberbauern drehte einsam seine Schwimmrunden. Er war zu einem Kümmerling geschrumpft, schnappte hysterisch nach Luft. Die klirrende Hitze an der Wasseroberfläche ließ ihm jedoch kaum eine Möglichkeit, genügend Sauerstoff für sein überleben aufzunehmen. Einfach abzutauchen in die kühlende Unterwasserwelt wurde für Wamperl immer schwieriger. Wie bei einer auslaufenden Badewanne würde er wahrscheinlich schon bald auf dem trockenen sitzen. Da half es auch nicht, dass der kleine Dackel Zamperl sich wie ein Bauernlackel benahm und ganz unverfroren in den Teich pinkelte. Wamperl und Zamperl waren noch nie echte Freunde. Der abgemagerte Karpfen vermisste vielmehr seine ehemals große Fischgemeinschaft. Bachforellen,Saiblinge und einstmals tolle Hechte waren einer tödlichen Bedrohung ausgesetzt. Am Seegrund, zwischen monströsen Blaualgen eingebettet, suchten sie ihre letzte Zufluchtstätte. Einige von Ihnen wollten scheinbar einen letzten Hilferuf signalisieren, bevor ihre Schnappatmung vollends versagte. Im Fischerstüberl herrschte Betroffenheit und auch Ratlosigkeit. Was nur sollte man den Gästen auftischen, die am liebsten fangfrische Forellen verspeisten? Das schmackhafte Zanderfilet fehlte ebenso beim Blick auf die Speisekarte wie die beliebten Renken. Dabei wäre heute eigentlich ein Grund zum feiern. Der Kalender zeigte den Tag des Erntedankfestes. Das Thermometer daneben 42 Grad im Schatten.
Die durstige Kehle vom Huber Lenz, der seinen dritten Frühling längst hinter sich hatte, lechzte nach den letzten Tropfen vom edlen Goldbräuer Gerstensaft, die jetzt so fad schmeckten,wie geschmolzenes flüssiges Gold. So muss sich Buffalo Bill bei seinem ersten Goldrausch gefühlt haben,dachte sich der Lenz. Im alten Westernroman hatte er mal gelesen,dass sich Indiana Jones immer wunderte, warum Bill so oft mit gespaltener Zunge sprach. Das muss wohl am damals noch reichlich vorhandenem flüssigem Gold gelegen haben. Und an den riesigen Büffelherden, die von Buffalo Bill und Konsorten durch die amerikanische Prärie gejagt und erlegt wurden. Texanisches Rindersteak stand aber noch nie auf der Speisekarte vom Hinterdupfinger Fischerstüberl. Es würde dem Huberbauern eh nicht schmecken. Obwohl der mit selbigem durchaus Ähnlichkeiten gehabt hätte. Und im Vergleich zum Texasrind gab es hierzulande einen nicht zu unterschätzenden Heimvorteil: Einige bayrische Büffel waren vom rasant zunehmenden Artensterben immer noch nicht betroffen . Der Lenz, der eine Knollennase hatte, wie eine austreibende Frühjahrskartoffel, rief der feschen Bedienung in einem urbayuwarischem Dialekt deftige Worte zu, die heute noch fest in der bayrischen Sprachwurzel verankert sind: „Zenzi, bring ma no a frische Maß !! De Goidfisch brauchan a ned ois alloa dringa“ Jetzt wollte auch die Kräuterliesl,die von allen nur Kräuterhex genannt wurde, ihren Senf dazu geben. Sie war ebenfalls fest in Bayern verwurzelt und ganz speziell in Hinterdupfing. Da durfte sie natürlich beim Erntedankfest nicht fehlen. Die Kräuterhex schaute aus wie eine alte Spinatwachtel, hatte aber ein Mundwerk, so scharf wie eine Brennnessel. „Im Delirium is de Hitz erträglicher ois im Aquarium“ fauchte sie den Lenz an. „Du konnst di um dein bissl Voschdand dringa, und wennst wos zum essn brauchst, dann hoitst di an deim hoitst di an deim Kummaspeck“ raunzte sie weiter. Die Wirtshausstimmung näherte sich dem Siedepunkt.
Fromme Dankessprüche vom Pfarrer Benedikt wurden umgewandelt in anders geartete Sinnsprüche, die selbst dem Engel Aloisius fremd waren. „Zefix Halleluja Himmeherrgottsakarament“ donnerte der Lenz, der jetzt zu einem Schreihals mutiert war. „I hob scho imma gwußt, dass du a Giftspritzn bist ! Zwecks Deina san de Fisch vareckt“ gab er der Kräuterliesl die Schuld am Fischsterben. Sie wurde von allen seitdem als Kräuterhex gerufen. Als der Engel Aloisius aber beim Lenz anfragte, wanns denn bei ihm so weit wäre, mitzukommen, rief der in höchster Not mit heiserer Stimme bei der Liesl an, bat um Vergebung und Entschuldigung für seine Derbheit. Nach drei Vater unser und nochmal drei Ave Maria Gebeten bekam der Lenz von der Liesl keinen Kräuterschnaps, dafür erst mal Salbei und Kamillentee. Dieses Gwasch, wie der Lenz das heilbringende Zeug bezeichnete, schmeckte zwar greislig, dafür aber fühlte sich der Huberbauer wieder stark wie ein Baum.Wie ein knorriger, etwas hoglbuachana,fest verwurzelter Baum. Doch nun geschah gar seltsames und verwunderliches: Der alte Lenz verspürte plötzlich junge neue Triebe und die Liesl blühte auf wie eine Sonnenblume im Herbst. Diese Verwandlung war keine Hexerei. Das zarte Pflänzchen Liebe hat erste Früchte getragen. Erfüllt von Dankbarkeit und Freude über diesen besonderen Zustand feiern der Lenz und die Liesl nun das ganze Jahr hindurch ihr eigenes privates Erntedankfest.